Bürgerversicherung statt Kopfpauschale

 

 

Klaus RothKlaus Roth: „Der Berg kreißte – und gebar nicht mal eine Maus“
„Das DGB-Papier wurde von einer 38-köpfigen Kommission unter dem Vorsitz von Annelie Buntenbach, Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes, erarbeitet. ver.di ist in dieser Kommission durch sein Bundes- vorstandsmitglied Ellen Paschke, durch Christian Zahn (2001 – 2007 ebenfalls Mitglied des ver.di Bundesvorstands, heute alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrats des GKV-Spitzenverbandes) und Fritz Schösser (ehemaliges Mitglied des Bundestages, heute alternierender Vorsitzender des Aufsichtsrates des AOK-Bundesverbandes) vertreten.

Dies zeigt gleichzeitig die enge Verknüpfung von Gewerkschaftsapparat und Selbstverwaltung der Krankenkassen. Die Parteien SPD, Grüne und Linke sind mit je einem Mitglied des Bundestages vertreten. Darunter befindet sich mit Harald Weinberg ein weiteres ver.di-Mitglied.

Die Frage nach der näheren Kenntnis unseres Gesundheitswesens drängt sich auf, wenn man die Zustandsbeschreibung der Kommission liest. „Die gesetzliche Krankenversicherung hat sich bewährt, bietet grundsätzlich allen Menschen in Deutschland eine hohe, wohnortnahe Versorgungsqualität und sorgt für einen solidarischen Finanzausgleich...“ „Eine alternde Gesellschaft muss nicht zwangsläufig zu höheren finanziellen Defiziten der GKV führen, ist jedoch ein Grund mehr für eine wirklich nachhaltige und solidarische Stabilisierung der GKV-Finanzen.

Wozu dann überhaupt etwas ändern, denn „gemessen an den Aufgaben hat sich das Modell der GKV auch im internationalen Vergleich hervorragend bewährt“?

„Zunächst einmal ist der DGB unterwegs, um die armen Kunden der PKV vor ihren Versicherern zu schützen.“

„Das Sachleistungsprinzip gewährleistet, dass eine finanzielle Beteiligung der Versicherten/Patienten im unmittelbaren Versorgungsgeschehen grundsätzlich nicht erforderlich ist... Auch dieser effektive Verbraucherschutz für die Versicherten sowie Patientinnen und Patienten unterscheidet die GKV von der PKV.“ „Außerdem sind beihilfeberechtigte Personen (Beamtinnen und Beamte) faktisch Zwangskunden der PKV-Unternehmen, die in weiten Einkommensbereichen auch den über der GKV liegenden Kostensteigerungen nahezu schutzlos ausgeliefert sind.“. PKV-Kunden bekommen also zu schlechte Leistungen zu überhöhten Preisen.

„Allein zwischen 1996 und 2009 ist die Zahl der GKV-Versicherten von 72 Mio. Personen auf 70 Mio. Personen gesunken und die Zahl der PKV-Kunden von 7 Mio. auf 8,8 Mio. Personen gestiegen.“.

Und wie passt das zu schlechter Qualität und hohen Preisen? Der DGB konstruiert einen angeblichen Wettbewerbsvorteil der PKV aus der Behauptung, sie könne sich die Risiken aussuchen, die sie versichert. Allerdings ist auch die PKV seit der Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht gezwungen, alle Versicherungswilligen, die ihrem Personenkreis zuzurechnen sind, aufzunehmen. Umgekehrt haben allerdings die gesetzlichen Kassen gegenüber der PKV Wettbewerbsvorteile. Sie sind als öffentlich-rechtliche Einrichtungen von der Steuer befreit, während die private Konkurrenz steuern zahlt. Die GKV wird zusätzlich teilweise über Steuern finanziert, die PKV selbstverständlich nicht. Und die GKV spart Kosten durch die Verpflichtung der Arbeitgeber, die Beiträge für sie einzusammeln.

„Die `Rettung` ist allein die Vernichtung der PKV“

Es ist deshalb nicht die Erkenntnis, dass den DGB dahin führt, dass die Rettung in der Abschaffung der privaten Krankenversicherung liegt, sondern nur die Wiederbelebung eines alten Feindbildes. Dabei ist das Ziel die sofortige und vollständige Vernichtung. Nur „falls eine verpflichtende Überführung von bisherigen PKV-Versicherten in die GKV rechtlich nicht möglich ist“, ist man beim DGB bereit, „über Übergangsregelungen nachzudenken.“

Bernd Schneider.Bernd Schneider:
„Scheinangebote an PKV-Beschäftigte sind auch ein Zeichen mangelnder Solidarität“

Der DGB nimmt für sich in Anspruch, bei allen Änderungen die Interessen der Beschäftigten in der Versicherungswirtschaft zu wahren, ja ihre Arbeitsplätze zu garantieren. Wie sieht das im Positionspapier aus?

„Sollte sich die Geschäftstätigkeit der privaten Krankenversicherungen durch politische Entscheidungen verändern, ist eine Beschäftigungsgarantie für die hiervon betroffenen Beschäftigten in einem integrierten Krankenversicherungssystem notwendig.“

Die Arbeitsplätze in der privaten Versicherungswirtschaft sind dann also weg. Dafür soll die gesetzliche Kasse diese Menschen einstellen. Was aber macht z. B. die Barmer dann mit dem Versicherungsaußendienst, den sie dadurch gewinnt? Und sind auch die sogenannten selbständigen Vermittler, also die Mehrheit unserer Kolleginnen und Kollegen im Außendienst gemeint? Schafft sich z.B. die AOK ein zweites Computersystem für die gleichen Aufgaben an, um die EDV-Spezialisten aus der PKV unterzubringen? Wo sollen diese neuen Arbeitsplätze sein? Wie ist die Bezahlung und wie sind die Arbeitsbedingungen? Und vor allem:

Wer finanziert denn diese Arbeitsplätze, wo die Zusatzeinnahmen der GKV doch für etwas ganz anderes gebraucht werden.

Wer als Rettung unseres Gesundheitssystems die Abschaffung der PKV somit leichtfertig mit dem Arbeitsplatz von mehr als 50.000 Menschen spielt, der verhöhnt die Beschäftigten einer gesamten Branche.

„Politische Verschiebebahnhöfe belasten die GKV“

Seit dem 01.Januar 2009 gilt für die GKV, was für andere Sozialsysteme schon längst Gültigkeit hat: Die Verantwortung für die Höhe des Beitragssatzes liegt bei Staat und Politik. Mehr oder weniger unbemerkt haben politische Entscheidungen jedoch seit Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen, dass der Beitragssatz in einem Umfang gestiegen ist, der nicht allein durch den Bedarf an Gesundheitsversorgung aufgrund des medizinischen Fortschritts oder der demografischen Entwicklung in der Bevölkerung ,sondern durch die bewusste Verschiebung finanzieller Lasten von anderen Sozialsystemen und vom Staat auf die GKV entstanden sind. Mit den bekannten Folgen für die Versicherten.
Wer also jetzt die Abschaffung der PKV fordert, um die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems zu gewährleisten, der muss sich auch die Frage nach der politischen Verantwortung dafür gefallen lassen.

„Wer die Kosten senken will, muss auch in betriebliche Gesundheitsförderung investieren“

Wie viel wir für unsere Gesundheit investieren wollen, ist eine Frage, die gesellschaftlich beantwortet werden muss. Dabei ist die entscheidende Frage, wie wir Krankheiten verhindern oder doch zumindest eindämmen können. Prävention ist die wichtigste Antwort auf den demografischen Wandel. In den letzten Jahren hat sich ein Bewusstsein dafür entwickelt. Viele Menschen ernähren sich gesünder, haben die Bewegung als Arznei wieder entdeckt und die Zahl der Raucher ist deutlich zurück gegangen. Der Bereich, in dem der Schutz der Gesundheit häufig immer noch stiefmütterlich behandelt wird, ist die Arbeitswelt. Für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen muss hier heute investiert werden.

Betrachten wir alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung zusammen, dann waren sie im Schnitt 11,8 Tage arbeitsunfähig. 1,3 Tage davon waren 2008 aber schon psychischen Erkrankungen geschuldet. Bei sinkenden Zahlen der Arbeitsunfähigkeit ist die Zahl der Ausfalltage wegen psychischer Krankheiten in den letzten 30 Jahren um 128 Prozent gestiegen. Schon heute scheiden 32,5 Prozent der Frührentner wegen psychischer Erkrankungen vorzeitig aus dem Beruf aus.

In Verbindung mit der Tatsache, dass wir immer älter werden, verbirgt sich hier ein ganz besonderer Zündstoff. wenn immer weniger junge Menschen die Krankheitskosten von immer mehr Alten bezahlen müssen. Auch darauf bietet die Bürgerversicherung keine Antwort.“

 

V.i.S.d.P: Waltraud Baier, Neue Assekuranz Gewerkschaft, 35390 Gießen

Search