Die großen Versicherer investieren derzeit Milliarden in die Digitalisierung ihrer Unternehmen.
Was sind die strategischen Überlegungen, die hinter diesen Aktivitäten liegen?
Die Digitalisierung der Gesellschaft sowie der Wirtschaft wirkt auf die gesamte Wertschöpfungskette der Versicherer. Beispiele für Veränderungen durch Digitalisierung sind neue Kommunikationstechnologien und die steigende Relevanz mobiler Kommunikation, verändertes Kommunikationsverhalten von Kunden und sich verändernde Kundenerwartungen, schneller werdende Kommunikation mit Kunden und innerhalb des Unternehmens, disruptive Innovationen durch branchenfremde Unternehmen (z.B. durch Startups und Digitalindustrieunternehmen wie Google) oder die zunehmende digitale Vernetzung mit Kooperationspartnern (z.B. Leistungserbringern in der PKV) und Versicherten. Aber die Digitalisierung wirkt auch außerhalb des Unternehmens dahingehend, dass Versicherte untereinander (z.B. Versicherte mit Diabetes in der PKV in Communitites wie mySugr), Geschäftspartner untereinander (z.B. Krankenhäuser) und Versicherte mit den Geschäftspartner-Unternehmen zunehmend vernetzter werden. Dazu kommt, dass die Digitalisierung Unternehmen von außerhalb der Versicherungsbranche ermöglicht, in den Markt einzutreten. Dies können z.B. FinTechs sein, Startups wie z.B. im Bereich Digital Health, Neugründungen wir Ottonova in der PKV oder aber auch etablierte Unternehmen wie Google oder Apple sein, die Datenkompetenz haben und Zugang zum Kunden haben. Dabei zeichnen sich Unternehmen von außerhalb teilweise durch eine wesentlich stärkere Kundenorientierung aus (was natürlich auch an der Regulatorik der Assekuranz liegt, aber nicht ausschließlich). Die Digitalisierung bietet sowohl den Versicherern aber eben auch Unternehmen von außerhalb die Chance dem Kunden (Teil-)Leistungen oder Services schneller, günstiger, besser oder einfacher anzubieten. Beispiele für Bereiche, in denen dies gilt sind Kundenservices, Abschluß von Versicherungsprodukten, Schadens- und Leistungsabwicklung oder der Zugang zu Kooperationspartnern wie Ärzten, Krankenhäusern, Werkstätten oder Assistance-Leistungen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung eine hohe Komplexität mit sich bringt und gleichzeitig auch eine sehr hohe Veränderungsgeschwindigkeit. Auf diesen Herausforderungen versuchen sich die Versicherer einzustellen.
In welche Aktivitäten wird konkret investiert?
Ein Großteil der bereit gestellten Budgets wird weniger in völlig neue Technologien investiert, sondern vielmehr dazu, die bestehenden, teilweise jahrzehntealten, IT-Systeme für die sich immer weiter wandelnden Herausforderungen der Digitalisierung bereit zu machen. Im Grunde genommen lassen sich dazu zwei zentrale Herausforderungen beschreiben: Einerseits muss eine horizontale Vernetzung der aller IT Systemen sichergestellt werden, d.h. Schnittstellen zwischen den aktuellen, oft Java-basierten Anwendungen und den „alten“ Host Systemen müssen geschaffen werden. Auch müssen die bestehenden Systeme untereinander vernetzt werden. Die Daten können im Idealfall digital vom Kunden oder Vertriebspartner bis in die Bestandsund Leistungssysteme und darüber hinaus zum Leistungs- oder Schaden-Partner verarbeitet werden. Dabei müssen Datenschutz und die Sicherheit vor einem Ausfall der Systeme sichergestellt werden. Andererseits geht es innerhalb der einzelnen Schritte der Wertschöpfung um die Optimierung der Arbeitsschritte, also um klassische Effizienzthemen. Um die unterschiedlichen Aktivitäten in den verschiedenen Sparten und Teilbereichen des Unternehmens koordinieren zu können, bedarf auch einer übergeordneten Steuerung. Daher habe einige Versicherer leitende Stellen geschaffen wie „Head of Digital Transformation“ o.ä. Vereinzelt investieren Versicherer auch in völlig neue IT Systeme, um bestehende abzulösen.
Darüber hinaus haben fast alle großen Versicherer kleine Digital-Einheiten außerhalb der klassischen Linie etabliert, um mit Methoden wie Lean Startup agil und innovativ arbeiten zu können. Wie digital muss ein Versicherungsunternehmen der Zukunft sein?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Aber die Konnektivität der bestehenden IT-Systeme mit muss sichergestellt werden.
Im Endeffekt gilt: Wenn es jemanden gibt, der dem Kunden eine Versicherung oder ein Service-Teil durch Digitalisierung besser, günstiger, schneller oder einfacher anbieten kann, dann haben solche Angebote eine gute Chance, sich durchzusetzen. Wer das nicht kann, läuft Gefahr, einen Wettbewerbsnachteil zu haben.
Was technologisch möglich ist, wir meiner Meinung nach auch kommen. Wenn man es nicht selbst macht, macht es jemand anderes. Insofern ist vor allem auch eine neue Haltung innerhalb der Unternehmen notwendig. Welche Wettbewerbsnachteile haben kleinere Versicherungsunternehmen zu befürchten, die nicht über die erforderlichen Investitionsmöglichkeiten verfügen? Größe spielt eine wichtige Rolle, da die großen Versicherer über eine potentere Kapitalstärke verfügen, mehr Daten im Unternehmen haben und ggf. auch schneller Digital-Kompetenz aufbauen können. Sie profitieren auch davon, dass sie weltweit in den Konzernverbünden aus digitalen Aktivitäten lernen können und Kompetenzen austauschen. Sehr wichtig ist auch der Aspekt der Kooperation: Große, internationale Versicherungs-Konzerne sind potenzielle Kooperationspartner für Unternehmen der Digitalindustrie wie Google oder Apple und können ggf. von deren
Datenmanagement-Kompetenzen sowie Kundezugang profitieren. Da können die kleinen nicht mithalten. Die Digitalisierung könnte also zu einer weiteren Konsolidierung im Markt führen. Aber: Kleinen Versicherern bietet die Digitalisierung Möglichkeiten zur Nieschenstrategie. Auch bietet sich kleineren Unternehmen eine Chance, Größe durch brancheninterne Zusammenarbeit zu schaffen,
z.B. durch ein brancheneinheitliches Gesundheitsportal in der PKV, an welches Leistungserbringer und Versicherte angebunden werden können.Funktioniert Versicherung überhaupt als digitales Produkt?
Digitale Versicherungsprodukte haben wir z.B. im Bereich Kfz ja schon seit Jahren. Die beratungsintensiveren Produkte z.B. aus der Kranken- und Lebensversicherung bieten aber auch weitere Potenziale zur Digitalisierung. Im Bereich der Risikoprüfung – z.B. einer digitalen Gesundheitsprüfung – liegen Chancen. Es wird aber weiter auch Kunden geben, die den persönlichen Kontakt suchen bzw. hybride Kunden, die sowohl digitale Kanäle als auch persönliche Ansprechpartner nutzen möchten.
Wo verläuft die Grenze zwischen Automatisierung und Digitalisierung?
Automatisierung ist ein Teilbereich dessen, was durch Digitalisierung möglich ist. Es handelt sich hierbei um die oben beschriebenen Effizienz-Treiber, also die digitale Optimierung von Arbeitsschritten. Ein klassisches Beispiel ist die Dunkelverarbeitung.
Digitalisierung ist aber weit mehr als lediglich Automatisierung, wenn man z.B. an digitale Kommunikation mit Kunden denkt.
Wo liegen die Risiken, aber auch Chancen für die Beschäftigten im Innen- und Außendienst der Versicherungsbranche durch die "Digitalisierung"?
Im Grunde verändern sich durch Digitalisierung Tätigkeiten, die durch Algorithmen standardisierbar oder verbesserbar sind. Jobs, in denen standardisierbares Wissen oder Regeln abgerufen werden, können prinzipiell digitalisiert werden. Selbiges gilt für wiederholbare Tätigkeiten. Darüber hinaus sind einige digitale Aktivitäten global einkaufbar und dann ggf. günstiger. So können Programmierjobs auch aus der Ferne von einer Person aus Kalifornien oder Indien erbracht werden.
Der digitale Vertrieb gefährdet natürlich auch Jobs im personalen Vertrieb. Aber die Digitalisierung bietet auch Chancen: durch den Aufbau von Digitalkompetenz ergeben sich im Vertrieb aber auch in den Innendienstbereichen Möglichkeiten.
Im Innendienst ergibt sich ein schwer zu deckender Fachkräftebedarf in der IT sowie im Umgang mit Datenanalyse und –management. In der IT werden neue Fähigkeiten, z.B. Java anstatt Cobol Programmierer benötigt. Dies führt auch dazu, dass der Anteil an freiberuflich Tätigen im Unternehmen in diesen Bereichen vermutlich steigen wird.
Die durch die Digitalisierung steigende Komplexität und hohe Veränderungsgeschwindigkeit wirken sich darüber hinaus auf die Arbeitsbedingungen generell aus. Agile Arbeits- und Organisationsformen werden zunehmend implementiert. Diese bedürfen aber auch einer agilen Kultur und vor allem agiler Mitarbeiter und Führungskräfte und das fällt nicht vom Himmel. Insbesondere die Führungskräfte und das Top Management sind hier gefragt, denn wenn diese in alten Muster verharren, gelingt auch keine agile Organisation. Darüber hinaus bedarf eine agile Organisation im Grunde paradoxerweise ein Mehr an Regelung als die klassische Hierarchie. Hier entsteht ein Aushandlungsbedarf zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Welche Veränderungen wird es bei den Berufsbildern/Ausbildung in der Branche geben?
Durch die hohe Veränderungsgeschwindigkeit im Kontext der Digitalisierung wir das schon seit jeher diskutierte „lebenslange Lernen“ nun absolut notwendig. Der Bedarf an Fort- und Weiterbildung wird steigen und zwar nicht nur in den IT-Berufen, sondern auch in den Tätigkeitsfeldern, die digitale Technologien nutzen oder mit Kunden interagieren.In den Bereichen der IT sowie des Datenmanagement hat die Assekuranz bereits heute Probleme, ausreichend Fachkräfte gewinnen zu können und dieser Trend wird sicher fortbestehen, da die
Versicherer mit Unternehmen aus anderen Branchen um die Spezialisten konkurrieren.
Prof. Dr. Björn Peters
Professur für Betriebswirtschaftslehre an der Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)
Consultant und Coach
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